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Meinung. Sabine Hückmann: Tabuthema soziale Herkunft?

Als die Charta der Vielfalt e.V. im Jahr 2020 die soziale Herkunft als Vielfaltsdimension aufgenommen hat, habe ich mich zunächst einfach nur gefreut. Jetzt war der “Diversity-Kreis” für mich als Betroffene wirklich rund. Seit diesem Jahr engagieren wir uns als Ketchum bei Netzwerk Chancen e.V., denn Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft ist real. Ihr steht heute in Deutschland noch immer der Leistungsmythos gegenüber, ein jeder Mensch habe den beruflichen Erfolg selbst in der Hand. Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen dagegen, siehe unter anderem hier: https://www.diversity-trends.de/#soziale-herkunft.

Mir hat es definitiv an einem belastbaren Netzwerk gefehlt, spätestens als ich ins Berufsleben eingestiegen bin. Allerdings hätte mir auch schon früher ein bisschen „Vitamin B“ gutgetan. Denn auch in der fränkischen Provinz kommt man besser an einen Ferienjob, wenn es jemanden gibt, der von offenen Stellen weiß oder einen gar empfehlen kann. Memento: Wir hatten damals noch kein Internet, und solche Stellen wurden meist unter der Hand an den Nachwuchs der Betriebsangehörigen vergeben. Ich hing auch an den Lippen meiner Mitschüler:innen, wenn sie von den Erfahrungen ihrer Elterngeneration sprachen, wenn es um die Wahl geeigneter Studienfächer oder -orte ging. Sonst hatte ich niemanden für solche Fragen. Meine Großmutter hat mich mehrheitlich alleine großgezogen und mich mit harter Akkordarbeit in der Fabrik ernährt; mein Großvater verstarb früh, meine Mutter war abwesend und mein Vater ist nicht bekannt. Unsere größte Sorge war immer, ob noch genug zum Leben übrigbleibt, wenn ich aufs Gymnasium gehe und eben nicht schon mit 15 Jahren mein Lehrgeld zuhause abgeben kann, um zum Familieneinkommen beitragen zu können.

Ich habe allerdings auch selbst nicht über die ökonomischen oder familiären Verhältnisse gesprochen, aus denen ich stamme und nach Unterstützung gefragt. Auf gut Deutsch gesagt: „Ich brauche das Geld.“ Oder: „Ich brauche jemanden, der mich unterstützt.“ Dafür habe ich mich immer irgendwie geschämt. Ja, es ist beschämend, nicht an einer Schulausfahrt teilnehmen zu können, weil das Geld fehlt. Unterstützungsfonds gab es zumindest an meiner Schule nicht, dazu war das soziale Gefüge zu mittelschichtig-homogen. Und selbst wenn es Hilfeangebote gegeben hätte, hätten wir sie vermutlich aus Scham auch nicht angenommen. Eine Ausrede geht einfacher von den Lippen als eine Bitte um Unterstützung. Dennoch wussten alle, warum ich nicht dabei war. Das ist eine ganze Schamspirale, die sich hier aufmacht.

Ich hatte Zukunftsängste, weil ich während des Studiums Vorlesungen gegen eine Frühschicht beim McDonald´s eingetauscht habe oder das eine oder andere unbezahlte Praktikum lieber gegen den gut bezahlten Werkstudent:innenjob bei einer Datenbankfirma. An beide Jobs kam ich übrigens, weil Menschen von sich aus auf mich zukamen und mich fragten, ob ich Interesse hätte.

Das alles – die Scham, die Verschlossenheit, das Abwarten – waren Fehler, wie ich heute weiß. Denn man sieht es Menschen nicht einfach so an, aus welchen ökonomischen oder familiären Verhältnissen sie stammen, wie sie aufgewachsen sind oder welche schulische Bildung sie haben. Das heißt, dass das eventuell privilegiertere Umfeld gar nicht weiß, dass hier ein Mensch vor einem steht, der weniger privilegiert aufgewachsen ist und eventuell Hilfe braucht.

Deshalb möchte ich alle Menschen ermutigen, darüber zu sprechen, und alle Unternehmen und Organisationen bitten, für solche Gespräche einen sicheren Raum zu bieten. Die soziale Herkunft darf weder ein Tabuthema sein noch eine Art zusätzlicher gläserner Decke. Deshalb engagiere ich mich persönlich, deshalb engagiert sich Ketchum in Deutschland bei Netzwerk Chancen e.V.

Dr. Sabine Hückmann

Als CEO der Ketchum-Agenturgruppe in Deutschland ist es Sabine Hückmanns Hauptaufgabe, die strategischen Weichen zu stellen, um der Vision von Ketchum in Deutschland jeden Tag ein Stück näher zu kommen: Die Kommunikationsberatung zu sein, die den größtmöglichen positiven Einfluss auf die Geschäftsentwicklung ihrer Kund:innen hat. Dazu gehören hervorragend ausgebildete und hochmotivierte Berater:innen genauso wie datengestützte kreative Kommunikationsprogramme mit messbarem Ergebnis. Kurz: Work that matters. Dank ihrer knapp 30 Jahre Berufserfahrung hat sie sich selbst in Kommunikationsfragen zum Allrounder entwickelt. Ihre Beratungsschwerpunkte setzt sie in den Bereichen Change Communications, insbesondere im Umfeld der Digital Transformation, und der datengestützten Kommunikation. Darüber hinaus ist sie Expertin für Medien- und Botschaftentrainings.

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Dr. Sabine Hückmann

CEO